Der Kompass Kulturkita unterstützt Kita-Teams und ihre kulturellen Bildungspartner:innen bei der Entwicklung, Planung und Umsetzung kultureller Bildungs- und Vermittlungsarbeit. Mit seinen beiden Teilen, den Grundlagen und den 15 Qualitätsaspekten, bildet er das Qualitätsverständnis ab, das uns in der Praxis frühkindlicher kultureller Bildung und Teilhabe bei Kulturkita Hessen leitet. So wurde der Kompass für die Kulturkitas Hessen entwickelt, kann aber grundsätzlich von allen Kitas und ihren Partner:innen genutzt werden, die frühkindliche kulturelle Bildung stärken möchten. Sie können dieses Praxistool verwenden, um ihre Position zu bestimmen, gemeinsame Ziele zu identifizieren und ihre Vision frühkindlicher kultureller Bildung zu entwickeln.
Grundlagen
Der Grundlagen-Teil beschreibt zentrale Bildungsaspekte und Begriffe der frühkindlichen kulturellen Bildung und ordnet sie ein. Damit bietet er Orientierung für alle, die sich für diese Arbeitsfeld interessieren und es sich erschließen möchten. Zugleich schafft dieser Teil die Basis für Kita-Teams und kulturelle Bildungspartner:innen, um ein gemeinsames Verständnis kultureller Bildung zu entwickeln.
Kulturelle Bildung und Teilhabe gründen auf klaren Rechten von Kindern, die in den UN-Kinderrechtskonvention verbürgt und durch diese geschützt sind. Gleichzeitig muss frühkindliche kulturelle Bildung auch selbst kinderrechtebasiert sein, um ihren Qualitätsanspruch einzulösen.
Auch die frühkindliche kulturelle Bildung kommt nicht ohne Fachbegriffe aus, die grundlegend für das Verständnis der Bildungspraxis sind. Die Einführung stellt dar, wofür zentrale Begriffe stehen, welche Anknüpfungspunkte es gibt und welche Abgrenzungen sich ziehen lassen.
Im Alltag bieten sich Kindern vielfältige Gelegenheiten für kulturelle Bildung. Sobald sich ihr Interesse auf die ästhetischen Dimensionen von Gegenständen, Räumen oder Praktiken bezieht, finden diese Begegnungen statt. Zentrale Orte hierfür sind die Familie, die Kita und der Sozialraum.
Frühkindliche kulturelle Bildung eröffnet Kindern verschiedene Zugänge, die unterschiedliche Erfahrungen, Kompetenzen und Bildungsprozesse ermöglichen. Sie reichen vom Erlernen ästhetischer Techniken über die Nutzung künstlerischer Ausdrucksformen bis hin zur Begegnung mit vielfältigen Kultur/en.
Qualitätsaspekte
Die 15 Qualitätsaspekte mit anschließenden Reflexionsfragen führen durch verschiedene Bereiche der frühkindlichen Bildungs- und Vermittlungspraxis. Sie nehmen Prozesse der Qualitätsentwicklung in den Blick, die eng miteinander verknüpft sind, aber auch einzeln bearbeitet werden können. So können Kita-Teams – mit ihren kulturellen Bildungspartner:innen – selbst entscheiden, wo sie einsteigen oder auf welche Aspekte sie fokussieren möchten.
Haltungen und Orientierungen finden
Das Bild vom Kind, das seine Welt und Kultur aktiv konstruiert und gestaltet
Frühkindliche kulturelle Bildung braucht Erwachsene, die das Kind als eigenständige und kompetente Persönlichkeit in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen – mit all seinen Rechten, inklusive jenen auf kulturelle Teilhabe und Vielfalt sowie auf künstlerische Aktivitäten. Kinder nutzen ganz selbstverständlich ästhetische Zugänge, um sich die Welt individuell zu erschließen, zu lernen und ihre Sichtweisen zu zeigen: Ästhetische Wahrnehmung, Erfahrung und Ausdrucksfähigkeit sind untrennbar mit dem Kindsein verbunden. Ihr intensives Spiel mit dem Gegebenen, ihr Versunken-Sein im Augenblick, ihre sprudelnden Ideen, ihre ungewöhnlichen Verknüpfungen und ihre Unvoreingenommenheit – all das sind wichtige Grundlagen für die Praxis frühkindlicher kultureller Bildung.
(Kultur)Pädagogische Arbeit ist Freiraum für gemeinsame Entdeckungen
Frühkindliche kulturelle Bildung bedeutet ein gleichberechtigtes Miteinander und Kooperation auf verschiedenen Ebenen, so auch zwischen Kindern und Erwachsenen. Kinder brauchen Erwachsene, die Lust haben, sich neugierig mit ihnen auf ästhetisch-kulturelle Entdeckungsreisen zu begeben und ihnen Freiräume für ästhetisch-kulturelle Begegnungen ermöglichen. Partnerschaftlich folgen die Erwachsenen dem ästhetischen Forschungsdrang der Kinder und ermutigen sie, ihre Gedanken weiterzuentwickeln. So entfalten Kinder ihre Stärken und erleben Selbstbestimmung.
Pädagogische und kulturelle Fachkräfte als Entdecker:innen und Brückenbauer:innen
Frühkindliche kulturelle Bildung ist immer eine gemeinsame Entdeckungsreise mit Kindern durch vielfältige ästhetisch-kulturelle Praktiken und Begegnungen. Pädagogische Fachkräfte und Kulturschaffende haben jeweils unterschiedliche Expertisen und Sichtweisen bezüglich Kindheit und Pädagogik bzw. Kultur/en und Künsten; sie tragen individuelle Vorprägungen und Vorstellungen in sich. Die perfekte Voraussetzung für eine professionelle Wegbegleitung in der frühkindlichen kulturellen Bildung ist eine grundlegende Offenheit, gemeinsam mit- und voneinander zu lernen, Vorannahmen aufzubrechen, kulturelle Vielfalt als wichtigen Wert anzuerkennen, neue Erfahrungen zu sammeln und das eigene professionelle Denken und Handeln zu hinterfragen.
Prozesse fokussieren
Kulturelle Bildungspraxis als Prozess gestalten und erleben
Frühkindliche kulturelle Bildung lädt dazu ein, künstlerische Techniken und kulturpädagogische Methoden anzuwenden. Sie knüpft an ästhetisch-kulturelle Alltagspraktiken der Kinder an und ermöglicht zudem nicht alltägliche Erfahrungen und Entdeckungen. Diese Praxis ist spürsinnig und sinnlich, ästhetisch und forschend, experimentell und offen. Wenn Kinder in dieser Praxis ihren eigenen Ideen folgen, sich selbst erleben und gemeinsam schöpferisch tätig sind, eröffnen sich Räume für kulturelle Bildungsprozesse. Diese kostbaren Momente sind das Kernstück kultureller Bildung: sie offenbaren neue, ungeahnte, lustige, manchmal auch zähe oder wundersame Erkenntnisse.
… alle nicht genau wissen, wie’s wird, und man es trotzdem gemeinsam macht!
Frühkindliche kulturelle Bildung versteht Lernen als Bildungsprozess, in sozialer Interaktion und in einer lernenden Gemeinschaft. Sie ist davon geprägt, dass sich alle mit ihren vielfältigen Potenzialen am Prozess beteiligen: Kinder, Fachkräfte, Kulturpartner:innen und Familien. Sie bilden eine sich stets verändernde Gemeinschaft, in der alle miteinander und voneinander lernen – ein Leben lang. Das sind wichtige Grundlagen für eine gemeinsame Qualitätsentwicklung im Sinne eines offenen Prozesses. Das heißt auch: Unvorhergesehene Ereignisse und neue Anforderungen werden nicht als Fehler oder Störung interpretiert, sondern als Chance und gemeinsam konstruktiv aufgegriffen.
Kontext und Umfeld einbeziehen
Den Sozialraum als Lebenswelt und kulturellen Bildungsort entdecken
Frühkindliche kulturelle Bildung versteht und nutzt den Sozialraum. Sie versteht den Sozialraum als kulturelles Erfahrungs- und Handlungsfeld. Er ist nicht nur durch konkrete Gebäude und Plätze geprägt, sondern insbesondere auch durch die sozialen und kulturellen Beziehungen der Menschen, die in ihm leben und handeln. Mit dem Sozialraum sind unmittelbar Lebenswelten und kulturelle Erfahrungen der Kinder verbunden. Kita und Kulturpartner:innen sind ein wichtiger Teil davon. Es gilt, auch die Natur, den öffentlichen Raum oder Orte, die nicht sofort mit „Kultur“ assoziiert werden, mit ihren ästhetisch-kulturellen Potenzialen zu entdecken und zu gestalten. So wird der Sozialraum zur spannenden ästhetisch-kulturellen Bildungslandschaft – mit all seinen Ressourcen und vielfaltigen Zugängen.
Kooperationen mit kulturellen Akteur:innen gestalten
Frühkindliche kulturelle Bildung braucht Kooperationen und Vernetzung im Sozialraum der Kita. Dadurch wird sie vielfältig und lebendig. Gemeinsam mit Kulturpartner:innen spannende Praxiskonzepte zu entwickeln und umzusetzen, schafft die Möglichkeit, die kommunale Vernetzung für Bildung – im Sinne einer Bildungslandschaft – weiterzuentwickeln. Theater, Bibliotheken oder Museen, Musikvereine, Künstler:innen-Ateliers oder Jugendkunstschulen, Tanzwerkstätten oder Spielmobile – sie alle haben ganz eigene Expertisen und Perspektiven zu Kultur/en und Künsten. Und sie werden von ganz unterschiedlichen Menschen getragen, die als Künstler:innen, Kulturpädagog:innen oder Ehrenamtliche ihre Leidenschaft vermitteln. Kulturpartner:innen können ebenso Selbstorganisationen von Migrant:innen, Familienzentren, Umweltbildungsträger und viele weitere Akteur:innen sein.
Familienpartnerschaften als Schlüssel für die Vielfalt gelebter Kultur/en
Frühkindliche kulturelle Bildung bedeutet auch kulturelle Familienteilhabe und Bildungspartnerschaft mit Familien. Familien sind zentrale Impulsgebende für und Träger:innen von ästhetisch-kulturellen Bildungsprozessen – und damit wesentliche Partner:innen. Wenn Familien vielfältige kulturelle Bildungsaktivitäten und Kulturorte sowie deren Relevanz für ihre Kinder kennen, können sie den Nachwuchs gezielter unterstützten. Wenn umgekehrt Kitas und Kulturpartner:innen um die Lebensbedingungen und vielfältigen Perspektiven auf Kultur/en in den Familien wissen, können ihre Angebote bestmöglich an die familiären Alltagserfahrungen anknüpfen und diese aufgreifen.
Organisationskulturen und -strukturen weiterentwickeln
Frühkindliche kulturelle Bildung in der Kita fest verankern
Kulturelle Bildung gehört zum Kern einer ganzheitlichen und qualitätsvollen frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung. Das bedeutet: Sie ist weder etwas Zusätzliches oder schmückendes Beiwerk, noch ersetzt sie Bestehendes. Nur wenn es gelingt, frühkindliche kulturelle Bildung mit dem vorhandenen Konzept sowie anderen Themen und Anliegen einer Kita zu verknüpfen, wird sie zur selbstverständlichen und gelebten Praxis, zu einem wichtigen Bezugspunkt pädagogischen Handelns und zum festen Teil der Organisationskultur. Und wenn alle Beteiligten die Grundlagen kennen und die Potenziale sehen, für sich übersetzen und mit Leben füllen, profitiert die ganze Kita-Gemeinschaft.
Im Team Verantwortung teilen und strukturieren
Um frühkindliche kulturelle Bildung langfristig und verbindlich im Alltag von Kitas zu verankern, braucht es unterstützende Strukturen. Hilfreich ist es, bereits etablierte Arbeitsstrukturen wie Gremien, Routinen und Wege zu nutzen und anzupassen, damit die ästhetisch-kulturelle Arbeit verlässlich getragen und fest integriert werden kann. Gute Voraussetzungen für frühkindliche kulturelle Bildung sind zudem gegeben, wenn alle gut informiert, Abstimmungsprozesse transparent gestaltet, Rollen klar verteilt und Entscheidungen mandatiert getroffen werden.
Rahmenbedingungen und Ressourcen sichern
Perspektiven auf Ressourcen wie Raum, Material und Budget
Ästhetisch-kulturelle Entdeckungen und Prozesse brauchen anregende Räume in Kitas, im Sozialraum oder an Kulturorten. Umgebungen und Materialien, die neugierig machen, ermöglichen es Kindern, sich zum Beispiel mit dem Körper und in der Interaktion mit anderen zu bewegen, mit Materialien und Instrumenten frei umzugehen, unbekannten Objekten und Medien zu begegnen, laut oder auch ganz leise zu arbeiten, draußen oder drinnen zu sein und sowie vieles mehr. Genauso anregend kann es sein, mit begrenzten Räumen oder Materialien zu experimentieren. Selbst wenn eine Kita und ihre Partner:innen ihre vorhandenen Ressourcen einbringen, benötigen sie oft eine Zusatzfinanzierung, um Angebote mit Materialien und Medien auszustatten, eine angemessene Vergütung von Kulturschaffenden zu sichern, Qualifizierungen zu ermöglichen oder am Ende eines Projekts eine Präsentation umzusetzen.
Mit Zeit und Ressourcen nachhaltig umgehen
Frühkindliche kulturelle Bildung setzt ressourcenbasiertes Arbeiten voraus. Das bedeutet, die Kita-Gemeinschaft nutzt alle Ressourcen, die sie hat: Dazu gehören zum Beispiel ästhetisch-kulturelle Expertise im Team, bei Kindern und ihren Familien sowie bei Partner:innen, aber auch Räume und Materialien, Stärken und Interessen, Kontakte und Zugänge. Es gilt, diese Ressourcen gezielt einzusetzen, wo nötig zu erweitern und im Sinne der Nachhaltigkeit bewusst mit ihnen umzugehen. Eine wichtige Ressource ist Zeit, denn ästhetisch-kulturelle Arbeit braucht zeitliche Anker im Kita-Alltag – mal festgelegt, mal flexibel. Zeit ist zudem ein wesentlicher Faktor für Fachkräfte, die Freiräume brauchen, um sich fortzubilden oder um Ideen zu entwickeln und umzusetzen.
Die Perspektiven auf Kinderschutz weiten
Kinder haben auch in der frühkindlichen kulturellen Bildung das Recht auf Schutz vor jeglicher Gewalt und Diskriminierung. Kinderschutzkonzepte gelten daher für alle ästhetisch-kulturellen Aktivitäten, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kita. Sie sind eine gemeinsame Aufgabe. Ebenso lassen sich Kinderrechte in kreativer Arbeit konkret zum Thema machen, so dass Kinder sich Wissen über ihre Rechte aneignen und Empowerment erfahren können.
Ergebnisse reflektieren
Stärken von Kindern erkennen und sichtbar machen
Von frühkindlicher kultureller Bildung profitieren Kinder und ihre Familien – unabhängig von ihren Vorerfahrungen. Kinder zeigen Spaß und Neugier an Kultur/en und Künsten, entwickeln zum Beispiel ihre sprachliche und kulturelle Ausdrucksfähigkeit, erweitern soziale Erfahrungen und lernen, mit ihren Emotionen umzugehen. Sie fühlen sich durch Partizipation ermutigt oder erleben für sich und ihre Familien kulturelle Teilhabe. Dazu braucht es Ideen, wie sich Entwicklungen und Stärken nicht nur gezielt unterstützen, sondern ebenso erkennen und reflektieren lassen – auch mit spielerischen und ästhetisch-kulturellen Methoden.
Organisationen zeigen eigene Entwicklungen und arbeiten transferorientiert
Frühkindliche kulturelle Bildung als einen gemeinsamen Entwicklungsprozess zu verstehen und zu gestalten, bedeutet im Ergebnis, dass ästhetisch-kulturelle Bildung fest in Alltagspraxis, Konzept und Strukturen verankert ist. Es heißt zugleich, dass die veränderten Erfahrungen, Perspektiven und Kompetenzen der beteiligten Akteur:innen und ihrer Organisationen reflektiert und sichtbar gemacht werden. Mehr noch: Die gewonnene Expertise lässt sich nutzen, um Transfer anzuregen. Damit kann die gemeinsame Arbeit langfristig für frühkindliche kulturelle Bildung wirksam werden – für weitere Kinder und ihre Familien, pädagogische Fachkräfte und Kulturschaffende.